BRD 2008, 98 Min., von Andreas Dresen mit Ursula Werner, Horst Rehberg, Horst Westphal, Steffi Kühnert
Dass alte Paare in Wirklichkeit oder im Film zärtlich miteinander sind, nimmt man höchst selten wahr. Dass sie darüberhinaus auch noch Sex haben, sieht man – zumindest auf der Leinwand – noch viel seltener. Ja, man könnte fast glauben, dass Gefühle zwischen Menschen jenseits der 50 plötzlich nicht mehr existieren und sich das Verlangen nach Sexualität und Nähe irgendwann schlichtweg auflöst. Nun rüttelt Regisseur Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon“) mit seinem neuen Film «Wolke 9» kräftig an diesem gesellschaftlichen Tabu und zeigt mit dem in der Cannes-Nebenreihe «Un Certain Regard» stürmisch gefeierten Film all das, was sonst so verschämt behandelt oder gleich ganz verschwiegen wird.
Einmal mehr direkt aus dem Leben entwirft der Regisseur zunächst eigentlich kaum mehr als eine dramaturgische Standardsituation des Kinos: Eine verheiratete Frau verliebt sich, hat Schmetterlinge im Bauch und Kribbelgefühle und durchleidet zur selben Zeit auch die Schmerzen der Trennung vom bisherigen Partner. Neu ist dabei allerdings das Alter der Hauptfiguren, denn Inge ist über 60 und seit 30 Jahren mit Werner verheiratet. Sie sind ein eingespieltes Team, das trotz seiner Routinen durchaus glücklich, vertraut und einander sehr nahe ist. Plötzlich allerdings wird die Ehe auf die Probe gestellt, weil sich Inge in Karl verliebt, der mit 76 Jahren sogar noch älter ist als sie. Nach jahrzehntelanger Ehe beschließt sie, ihren Mann zu verlassen.
Wie unprätentiös, ungeschönt und stimmig Dresen diese Szenen im Milieu zwischen Kleingartenkolonie und enger Mietswohnung einfängt, ist dabei ebenso beeindruckend wie die Momente des Schmerzes und der Trennung. Mit der Intensität, die man aus seinen Filmen wie «Nachtgestalten» oder «Halbe Treppe» schon kennt, beleuchtet der Regisseur so nicht nur den Mut zu einer neuen Liebe im Alter, sondern auch die schwierigen Gefühlslagen, mit denen sich nicht nur der Verlassene auseinandersetzen muss, der nach Jahrzehnten plötzlich zum schwer möglichen Neuanfang gezwungen wird. Denn Inge geht konsequent ihren Weg, auch wenn letztlich ungewiss bleibt, wieviel Glück sie mit ihrem neuen Liebesglück wohl haben wird.