Andreas Spechtl, 24, Gitarrist und vor allem Sänger und Texter von Ja, Panik (wie elegant es ausgesprochen klingt: «Japanik»), möchte weder die Dimension des Zitats, also die Position der Postmoderne, noch die der nicht bewältigten Gefühle, also des Authentischen, aufgeben. Die Worte der Anderen sollen für das selbst Erlebte stehen: «Hör’ mir gut zu, wenn ich dir sage / Letzte Nacht, das war für lange Zeit Desaster genug / Und wenn ich jetzt gleich über der Grenze bin / Dann waren das auch nur 72 wilde Stunden / Die werde ich schon bald überwunden haben.» Tut es was zur Sache, von wem die Zeilen ursprünglich stammen? Sind zwei Zungen zu viel, um mit einer Stimme zu sprechen? «Meine Dichtkunst wird nur darin bestehen, den Menschen, dieses Raubtier, mit allen Mitteln anzugreifen», singt Spechtl, aus dem Burgenland stammend und mittlerweile verzogen nach Wien, in dem Song «Ich bringe mich in Form», und es wird vermutlich nicht Jahre dauern, bis die ersten Sprachwissenschaftler Zeile für Zeile auseinandernehmen werden, um herauszufinden, was echt und was künstlich ist, kurz: bis dekonstruiert wird, was Spechtl mit so großem Gegenwartsbewusstsein zuvor montierte.
Interessanterweise wehrt sich Spechtl gegen die naheliegende Annahme, er habe seine Ich-Maschine aus der seit Jahren praktizierten Zitatwelt Jochen Distelmeyers entwickelt. «Ich bin ganz und gar nicht beeinflusst von anderer Musik, höchstens von Literatur», sagt Spechtl am Telefon, um trocken anzufügen: «Außerdem bin ich viel zu jung für die Hamburger Schule.»
Ganz offensichtlich wird die von Spechtl über alle Lieder des neuen Ja, Panik-Albums gestülpte literarische Methode, wenn man den Blick auf einen Song wie «Roadmovie To … » lenkt. In diesem reiht er Satzfetzen aus verschiedenen Mafiafilmen aneinander – und ersetzte die in diesen Zitaten auftauchenden Namen kurzerhand durch die der eigenen Bandmitglieder. «Die Band als Gang wird so zu einem reflektierten Zeichen», sagt Spechtl, und er singt: «Erzähl mir nichts von deiner Unschuld / Du beleidigst meinen Intellekt.» Entstanden ist der Song nicht etwa aus einer Erinnerung an Coppola, Pacino und «Der Pate»: Nein, «ich habe mir einen Stapel DVDs ausgeliehen und eine nach der anderen angeguckt. Am Ende war mein Notizbuch voller Zitate, aus denen ich dann das Lied kürzte.»
Ja, Panik haben zu ihrem Album «The Taste And The Money» ein Manifest verfasst, das sich gegen all die «over-sophisticated Pop-Diskursler» wendet, die traditionell die Nähe jener Musiker suchen, die Popmusik ernst nehmen – und die daher auch deren Geschwindigkeit und Abwechslungsbedürfnis nachzuleben versuchen, obwohl sie selbst längst vom Kulturbetrieb vereinnahmt sind. Wahrscheinlich ist auch Ja, Paniks Manifest von irgendwoher geklaut (wie auch dieser Text zu weiten Teilen geklaut ist), bei den Symbolisten, den dAdAisten oder den Strukturalisten, ist ja auch egal, auf alle Fälle heißt es dort: «Den Fortschritt begreifen, sich fremder Ideen annehmen, falsche Gedanken streichen und durch richtige ersetzen.» Ja, Panik selbst auf alle Fälle bejubeln mit ihrer wilden Musik Hedonismus, Drogen, Literatur, Reflexion und Sex. Ihr Schrammelrock, mal schneller, mal langsamer, mal verhaltener, mal aggressiver gespielt, ist das einzige Element im Referenzsystem, das nicht wie gesamplet wirkt, sondern wie wirklich so dahingestellt. Klar wird der Musik die Funktion eines Trägers zugewiesen, die Gitarren sind also nicht einfach Begleitung, sondern ein Gegenpol zu den deutschen/englischen Texten Spechtls. «Das hat Falco ja auch getan. Nimm seine Coverversion des Dylan-Songs ‚It’s All Over Now Baby Blue‘: Falco machte aus der Zeile ‚You must leave now, take what you need, you think will last‘ seine berühmte Antwortzeile ‚Und vergiss nicht deine High-Heels / Deine High-Heels deine heißen, roten Schuh’, Baby Blue‘. Ich habe die Schraube eine Winde weitergedreht, sodass es jetzt bei mir, sowohl Dylan als auch Falco zitierend, heißt: ‚Vergiss das schwarze Hemd nicht, vergiss nicht deine roten Schuh’‘.» Andreas Spechtl schafft das Einsame, das zuletzt für unmöglich Gehaltene: Er wendet eine Methode auf die deutsche Sprache und den eigenen Mitteilungsdrang an, ist damit, aus dem Ärmel geschüttelt, ohne es vielleicht zu merken, der größte Traditionalist seit Kurt Schwitters, und macht die deutsche Sprache geschmeidig, zärtlich, füllt sie mit Verweisen und Bezügen und nimmt ihr damit jede Grobheit und Gemeinheit, wie man es zuletzt fast für unvermeidbar gehalten hatte, wenn man sich nur umguckte und überall fündig wurde, sobald einer dieser feisten neuen deutschen Sänger den Mund aufmachte. Wie anders, wie intim, mit weit aufgerissenen Pupillen, klingt dagegen dieses frühe Zitatfugenwerk einer Band, von der wir in der Zukunft, die bekanntlich längst begonnen hat, noch sehr viel hören werden.
Dass das Ganze in seiner Vielbezüglichkeit nicht angestrengt wirkt, sondern leicht ins Ohr geht, liegt zum einen am abwechslungsreichen Spiel der Gruppe, zum anderen aber auch daran, dass euphorische Wut, intelligenter Pessimismus und melancholische Katerstimmung stets von einem abgründigen Humor abgefedert werden. Im CD-Regal einer deutschsprachigen Jugendbewegung sollte zwischen Tocotronic, den Türen oder GUZ jedenfalls noch ein Plätzchen frei sein für sie. Die fünf Jungs ficht die Meinung eines, wie sie schreiben, «over-sophisticated Pop-Diskurslers» ohnehin nicht an. Hauptsache, guter Geschmack führt nicht in die Pleite. Frankfurter Allgemeine Zeitung
Album des Monats im Musikfachblatt Spex (Ausgabe Mai/Juni 2008)
www.ja-panik.com
www.myspace.com/japanik
www.lastfm.de/music/Ja,+Panik
Eintritt:
8,– Euro VVK plus Gebühr
10,– Euro Abendkasse
8,– Euro Mitglieder