Lärmend verstörte das Globe Unity Orchestra Ende der 60er Jahre sein Publikum. Nach über 40 Jahren treffen sich die alten Helden wieder: Wie klingt Free Jazz heute? Das Globe Unity Orchestra wurde vom damals 28-jährigen Berliner Pianisten Alexander von Schlippenbach gegründet. Joachim-Ernst Berendt, Jazzpublizist, Produzent und Gründer der Berliner Jazztage, des heutigen JazzFests, entwickelte auch die Jazzredaktion des SWR und produzierte die erste Aufnahme des Orchesters. Berendt hatte Schlippenbach damals mit einer Auftragskomposition die Möglichkeit gegeben, bei den Jazztagen 1966 in der Berliner Philharmonie erstmals Free Jazz mit einem großen Ensemble aufzuführen. Von den Reaktionen auf dieses Konzert erzählen die Musiker heute noch gern. Von Tumulten ist da die Rede, von wütenden Beschimpfungen und begeistertem Zuspruch. Der deutsche Free Jazz der sechziger Jahre spaltete das Publikum in die einen, die nur Krach hörten, und die anderen, die Aufbruch hörten, neue Zusammenhänge, Wildes, Widerständiges, etwas ganz Neues, Unerhörtes.
Bald wuchsen überall in Europa Keimzellen der neuen, freien Musik heran, auch in Warschau und Ost-Berlin. Und die Pioniere vernetzten sich, traten gemeinsam auf und begannen, sich zu organisieren. Im Globe Unity Orchestra trafen Musiker aus Europa und Amerika aufeinander, um nach neuen Möglichkeiten zu suchen und individuelle Erfahrungen miteinander zu teilen. Die Klangästhetik und Formensprache des Free Jazz beeinflussten auch die Neue Musik. Es folgten sogar Auftritte des Orchesters bei den Donaueschinger Musiktagen. Die Jazzmusiker suchten überdies nach anderem Material. Sie fanden es in einem verklärten Ideal des Proletariats, in Zimmermannshosen und schweren Stiefeln, in den Solidaritätsliedern von Kurt Weill und in der Volksmusik, etwa griechischer Folklore. Die Übersetzung in den Free Jazz verlief nicht ohne Schwierigkeiten und hinterließ eine Spur aus Siebziger-Jahre-Kitsch, selbst gebatikten Tüchern und Leinentaschen. Paul Lovens inspirierte das später zu seiner selbstironischen Komposition «Kitsch Period From Wuppertal». Das Globe Unity Orchestra reiste in den achtziger Jahren im Auftrag des Goethe-Instituts als deutsches Kulturgut um die Welt. Die Hörgewohnheiten hatten sich verändert, der Free Jazz hatte ein Publikum gefunden. Nur in den außereuropäischen Ländern liefen die Zuhörer scharenweise aus den Konzerten, hielten sich die Ohren zu oder schwenkten, wie 1989 in Chicago, weiße Fahnen zum Zeichen der Kapitulation vor dem Krächzen, Tuten, Hämmern und Quietschen, das Musik sein sollte. Sie waren keinen Free Jazz aus Europa gewöhnt. Das Chicagoer Konzert war der letzte große Auftritt des Globe Unity Orchestra, dann fiel die Mauer. Man stellte die Berlin-Subventionen ein, und damit wurde es auch für das Orchester schwierig. Alexander von Schlippenbach spielte häufiger im Trio mit dem englischen Saxofonisten Evan Parker und dem Schlagzeuger Paul Lovens, konzentrierte sich auf Duett-Projekte und die Einspielung des Gesamtwerks von Thelonious Monk mit der Berliner Band Die Enttäuschung. Für ein Konzert in Aachen formierte sich das Globe Unity Orchester 2002 erneut. Die Schweizer Plattenfirma Intakt veröffentlichte eine Aufnahme davon. Es folgten weitere Auftritte, so auch das Konzert 2005 in Lissabon, das dem verstorbenen Posaunisten und Mitstreiter Albert Mangelsdorff gewidmet war. Über die Jahre hat das Orchester seine Besetzung verändert und auch verjüngt. Der Bassklarinettist Rudi Mahall und der Trompeter Axel Dörner aus Berlin und der Posaunist Jeb Bishop aus Chicago sind Anfang 40.
«Organisierte Improvisation» nennt Schlippenbach seine Art, für das Globe Unity Orchestra zu komponieren. Geschriebene und freie Teile werden assoziiert. Neben den traditionellen Noten gibt es spezielle Zeichen, zum Beispiel Kreise, in deren Zentrum Pfeile zielen. Sie zeigen an, wann allein, zu zweit, zu dritt oder mit allen improvisiert wird. Die Interpretation der Zeichen bleibt individuell: Nach den einst mit Fäusten ausgetragenen Diskussionen darüber, was Free Jazz genau sei oder auch nicht sein dürfe, sind die Musiker im Laufe der Jahre von ihren Manifesten und strengen Regeln abgekommen. Im Gespräch möchte keiner von ihnen eine letzte Definition geben. Es gebe eben viele Möglichkeiten, diese Musik zu spielen. Wichtig seien vor allem die Musiker, die ja erst durch ihre Individualität die Musik entstehen ließen – die Idee des Jazz also, die immer noch zu spüren sei. Dabei gebe es keine Atonalität, sagt Alexander von Schlippenbach. Alle Töne hätten ihre Berechtigung. Und Evan Parker pflichtet ihm bei, es gebe keine falschen Noten, nur falsche Zusammenhänge. Die meisten der europäischen Free-Jazz-Musiker finden in den drei großen Formationen zusammen: dem Globe Unity Orchestra in Deutschland, dem ICP Orchester von Misha Mengelberg und Han Bennink in Holland und dem London Jazz Composers Orchestra von Barry Guy (das Barry Guy New Orchestra wird am 6.Oktober auch in der Manufaktur gastieren). Es gibt auch viele kleine Ensembles. Alexander von Schlippenbach geht es in der Arbeit mit seinem Globe Unity Orchestra nicht um einen demokratischen Prozess. Die Musik stehe im Vordergrund, nicht der politische oder gesellschaftliche Kommentar. Patrik Landolt, Chef des Schweizer Labels Intakt, sieht im Free Jazz die «Klassik der Moderne». Schlippenbach empfindet den Free Jazz als fortlaufenden, sich ständig erneuernden Prozess, dem jüngere Musiker frische Klänge hinzufügen. So bricht der Trompeter Axel Dörner mit vertrauten Symmetrien und verwandelt Atemgeräusche durch Zirkularatmung in ein fast elektrisches Rauschen. Sein minimalistischer Ton weist der improvisierten Musik einen neuen Weg. Während man früher traditionelle Formen mied, scheut der Free Jazz heute die Geschichte nicht mehr. Man spielt wieder Melodien und Soli, Schönheit darf sein. Das Globe Unity Orchestra fand in dem Schweizer Label Intakt eine Plattenfirma, die seine Musik weltweit verbreitet.
Eintritt:
17,– Euro VVK plus Gebühr
20,– Abendkasse
17,– Mitglieder