Musik im Zeitgeschehen heißt ein Buch von Ernst-Hermann Meyer, das 1953 in Berlin (DDR) erschien. Auf Seite 162 f. läßt sich nachlesen, was der Autor und mit ihm die Autoritäten unter Jazz verstanden: ein "abgerissenes, bösartiges, barbarisches Treiben", Ausdruck der "degenerierten Ideologie des amerikanischen Monopolkapitalismus", "verlogen und in künstlerischer Hinsicht schlimmer als wertlos". Hätte man dem damals zehnjährigen Conrad Bauer aus Halle prophezeit, daß er zwanzig Jahre später der erste freiberufliche Jazzmusiker seiner sozialistischen Heimat werden würde, er hätte es für ein unwahrscheinliches und vielleicht sogar schlimmes Schicksal gehalten.
Heiße Musik versus Kalter Krieg – die Jazzbegeisterung unter Arbeitern und Bauern zermürbte die führenden Genossen und läutete die ideologische Wende ein: Hatten denn nicht Sklaven den Jazz erfunden? Also galt: Jazz = unterdrücktes Amerika! Und jede blue note eines DDR Musikschaffenden wurde fortan zum klingenden Akt internationaler Solidarität. Haltstop. Hier verfällt der Westler in einen unangemessenen Ton gegenüber einer Geschichte, von der er nur durch Geographie verschont blieb.
Zur spöttischen Reflektion über Musik im Zeitgeschehen lädt Conrad Bauers CD aber auch zu sehr ein: durch ihren Titel und den Zeitpunkt der Aufnahme. "Reflections" enthält Konzertmitschnitte vom Oktober 1986. Es spielen (in der Stereoanlage von links nach rechts): Conrad Bauer, Posaune; Joe Sachse, elektrische Gitarre; Uwe Kropinski, akustische Gitarre; Johannes Bauer, Posaune. Doppelt gemoppelt die Besetzung, daher der Name. 1982 gab es schon eine Platte ("Round About Mittweida", FMP 0980), noch als "Conrad Bauer Quartett" allerdings. Doppelmoppel ist gewiß der bessere Name, weil hier nicht einer dreien etwas vorgibt oder vormacht, sondern alle vier gleichberechtigt agieren. Das musikalische Material kommt aus dem Augenblick, nichts ist komponiert. Dieses radikale, dem free jazz entlehnte Verfahren konnte zu DDR-Zeiten verstanden werden als ästhetisch-politischer Gegenentwurf. Gebannt hörte ein großes Ostpublikum zu, wie vier Individualisten zu einem Kollektiv verschmolzen, das sich auf Phantasie, Sensibilität und Initiative gründete statt auf staatlichen Zwang. Der melodisch-verträumte Conrad Bauer und sein jüngerer, rotziger aufspielender Bruder Johannes wollten Anfang der siebziger Jahre ein Quartett gründen. Weil zwei Posaunen in einer kleinen Besetzung eh schon ungewöhnlich waren, suchten die beiden gar nicht erst nach einer instrumentell "sinnvollen" Ergänzung. Jeder sollte einen ausdrucksstarken Musiker anbringen, und es war purer Zufall, daß sie zwei Gitarristen fanden: Conrad fand Uwe, Johannes fand Joe. Joe Sachse ist ein E-Gitarrist, der neben großer Fingerfertigkeit bei Bedarf auch Schraubenzieher und anderes Handwerkszeug einsetzt: ein Klangmechaniker.
Uwe Kropinski hingegen ist ein feiner Akustiker, der seine Spezialität, parallel zum Zupfen der Saiten perkussiv auf dem Korpus zu klopfen, so virtuos beherrscht, daß blinde Hörer meinen, da spielten zwei. Ihre Musik ist weniger free jazz denn instant composing: Der Wille zur Form steigert die Lust am Ausbruch.
Kropinski sprüht manchmal Flamenco, Conrad Bauer stimmt Volksliedhaftes an. Joe Sachse scheut vor Rock ’n‘ Roll nicht zurück, Johannes Bauer schlabbert und schlubbert. Kropinski ging im Dezember 1986 in den Westen. Die anderen drei kamen am 3. Oktober 1990 nach. Doppelmoppel ist seither wieder vereinigt.
…vier ausdrucksstarke, einfallsreiche Musiker auf der Höhe ihres Könnens
Die Zeit
…ein farbenfrohes Bild, das vor Ideenreichtum und Humor strotzt
Jazzpodium
…mit bewundernswertem Gespür für Kommunikation
…Gruppendynamik, die das Publikum zu recht begeistert
Süddeutsche Zeitung
Eintritt:
15,- Euro VvK plus Gebühr
18,- Euro Abendkasse
15,- Euro Mitglieder