CH / BRD 2009, 97 Min., von Vadim Jendreyko
Man muss kein Dostojewskij-Kenner sein, um sich auf dieses filmische Porträt von Swetlana Geier, der größten Übersetzerin von russischer Literatur ins Deutsche, einzulassen. Nicht die Literatur selbst steht im Zentrum der Dokumentation, sondern die Erinnerungen der heute 85-jährig in Freiburg lebenden Protagonistin an ein von der wechselvollen Geschichte Europas begleitetes Leben. Zugleich schaut die Kamera der mehrfachen Groß- und Urgroßmutter auch dabei zu, wie sie mit einer ebenfalls betagten Sekretärin und einem penibel die von ihr übersetzten Worte und Sätze abwägenden Lektor russische Originale ins Deutsche transformiert. Ein Prozess, der weit über das sukzessive übersetzen von Sprache hinaus geht, sondern das Beschriebene so überträgt, dass auch deren Geist in der Übersetzung erhalten bleibt. Gerade die Zusammenarbeit mit ihrem Lektor sorgt in diesem sich insgesamt doch eher mit einem trockenen Thema befassenden Film mit seiner unfreiwilligen Komik für willkommene Auflockerung.
So wichtig Erinnerungen, biografisches und geschichtliche Einordnung zum Verständnis der Person Geier sind, so aussagekräftig ist jedoch auch die Art und Weise, wie diese intelligente und würdevolle alte Frau ihren Alltag bewältigt. Vor allem imponiert es, sie über das Leben philosophieren zu hören und wie sie sich Gedanken über Worte und Laute und deren gelegentliche Unübersetzbarkeit macht. „Man muss Dostojewskij lesen wie ein Schatzgräber: an den unscheinbarsten Stellen sind Juwelen vergraben, die man oft erst beim zweiten oder dritten Mal Lesen entdeckt“, sagt sie über ihre literarische Auseinandersetzung mit dem zu den einflussreichsten Schriftstellern der Weltliteratur zählenden Autor von „Schuld und Sühne“, dessen Titel sie als „Verbrechen und Strafe“ übersetzte.