Italien 2009, 150 Min., von Giuseppe Tornatore mit Francesco Scianna, Margareth Madè, Angela Molina, Michele Placido, Raoul Bova, Gaetano Aronica, Monica Bellucci
Hundertfünfzig Minuten schwelgen der Regiemeister Giuseppe Tornatore und sein Hauskomponist Ennio Morricone mit elegischer Orchestermusik in verführerischer Nostalgie. Dieses große Epos über ein halbes Jahrhundert wildbewegter italienischer Geschichte fasziniert vor allem durch seine suggestiven Bilder der sizilianischen Landschaft und Architektur. Seine Ode an die sizilianische Stadt Bagheria, die Tonnatore entlang der Familien-Chronik des einfachen Schafhirten Ciccio entwirft, führt mit sinnlich poetischen Bildern durch das 20.Jahrhundert.
Der Titel seines opulenten Sittengemäldes ist der sizilianische Dialektname des Städtchens Bagheria in der Provinz Palermo. Es ist aber auch wie nicht selten bei dem 53jährigen die Beschwörungsformel für jenes Paradies der Erinnerung, in dem schon „Cinema Paradiso“ spielte. Über drei Generationen einer Dorfgemeinschaft spannt der leidenschaftliche Cineaist Tornatore seine dezidiert autobiografische Geschichte, die gleichzeitig das Porträt seiner Geburtsstadt ist, zwischen den dreißiger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Der ehemalige Dokumentarfilmer erzählt das Leben des Peppone Torrenuovo, der zu Mussolinis Zeiten die Schulbank drückt und als junger Mann der kommunistischen Partei Italiens beitritt, um soziale Gerechtigkeit für die Landarbeiter zu erkämpfen. Die politischen Kämpfe freilich, zwischen Kommunisten auf der einen und den Grundbesitzern und der Mafia auf der anderen Seite, werden eher angedeutet als ausgefochten. Das Ende des Films zeigt einen zufriedenen 60-Jährigen, der es nie zu Reichtum, aber zu vier Kindern, einer ebenso schönen wie treuen Ehefrau samt einer bescheidenen politischen Karriere brachte.
Gleich zu Beginn saust die Kamera mit einem um Zigaretten laufenden Jungen die Straße entlang, bevor sie sich magisch in die Lüfte erhebt. Durch einen stilistischen Kunstgriff des renommierten Regisseurs, einen elliptischen Erzählbogen, gerät Peppone in die merkwürdige Situation, als kleiner Junge seinem eigenen kleinen Sohn Pietro zu begegnen. Grund: Der Junge verschläft in der Schule nicht nur den Gong, sondern gleich ganze Jahrzehnte. Beide jagen sie jetzt aneinander vorbei. Der Kreis schließt sich. Und wie die Kinder einander im Kreislauf der Zeiten ablösen, so sitzt auch die nächste Generation Männer scheinbar ewig beim Kartenspiel, demonstriert gegen die Ausbeutung oder aber küsst dem Don des Ortes Bagheria immer noch den Ring.
„Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele“, wusste schon Goethe, „hier ist der Schlüssel zu allem“. Um Zugang zur geschundenen Seele Siziliens und seiner Menschen zu finden, bietet Tornatore, der sich als Traditionalist in der in der Nachfolge der italienischen Neorealisten versteht, mit seinem pittoresken Bilderbogen einen wunderbaren Anfang.