Liebe Freund*innen der Manufaktur,
Business as usual, mittlerweile. Ein Datum ist gesetzt, diverse Schreckenszenarien werden ent- oder verworfen, kursieren multimedial – und am Ende wartet dann die Erkenntnis, es hätte nicht schlimmer kommen können. Am 23. Februar wird gewählt und es passte in die Zeitläufte, wenn es am Ende auf eine Kanzlerin hinausliefe. Bis dahin ist es noch etwas hin, weshalb wir uns in Baden-Württemberg die Zeit damit vertreiben, uns selbst zu gratulieren. Damit wir nicht alles selbst machen müssen, gibt es den Job des Kulturstaatssekretärs, der Anfang Dezember vom „Bundewettbewerb (sic!) Jugend musiziert“ den Eindruck mitnahm, wie großartig es sich anfühlt, im „musikalischsten Bundesland“ zu leben, weil „unsere jungen Talente aus THE LÄND“ die meisten Preise abgeräumt haben. War uns gar nicht so klar, dass Jugend musiziert nicht nur ein Wettbewerb unter jungen Talenten ist, sondern auch ein föderaler Wettbewerb. Wiewohl selbst dem Musizieren gänzlich abhold, ahnt der Kulturstaatssekretär doch, dass ohne Fleiß, kein Preis und erklärt: „Dieses musikalische Niveau erreicht aber nur, wer über Leidenschaft verfügt, und wer das Talent mit Fleiß und Ausdauer zu großer Könnerschaft entwickelt.“ Mit Fleiß und Ausdauer und nicht zuletzt auch mit 240 öffentlichen Musikschulen im Land im Rücken, wobei die prekären Arbeitsbedingungen der dort Lehrenden im allgemeinen Jubel leider keine Erwähnung fanden, weil alles super klingen soll. Tut es ja auch. Ist aber noch nicht alles, denn natürlich ist Baden-Württemberg nicht nur mit Klavier, Cello, Flöte und Violine ganz vorne mit dabei, sondern kümmert sich als POPLÄND auch um die Postpubertierenden, für die Pop ein wichtiges Ausdrucksmittel ist. Und weil das so ist, hat sich die um eine junge Perspektive bemühte regionale Kulturpolitik darauf verständigt, die Szene „sichtbarer“ (Winfried Kretschmann) zu machen. Durch Vernetzung und Förderung und Schaffung von Freiräumen der Kreativität. Das ist insofern etwas überraschend, weil der ehemalige Leiter der Mannheimer Pop-Akademie Prof. Udo Dahmen bei jeder sich bietenden Gelegenheit nicht müde wird, daran zu erinnern, dass Baden-Württemberg einerseits eine herausragende Position als „Vorreiter der populären Musik in Deutschland“ innehat, die andererseits gleichwohl gestärkt gehört. Nun mag man sich außerhalb Stuttgarts und nämlich in Berlin, Hamburg und Köln erstaunt die Augen und Ohren reiben, wie man davon leider nun gar nichts mitbekommen hat. Also nicht nur von der Sichtbarkeit. Aber Dahmens Pop-Expertise kann sich ja nun wirklich sehen und hören lassen, gelangten doch Acts wie Get Well Soon, Mine, Wallis Bird, Get Well Soon und auch Get Well Soon und nicht zuletzt Mine unter seine Ägide zu mindestens Weltruhm. Und Dutzende anderer Acts, deren Namen uns gerade nicht einfallen wollen. Es geht aber um mehr, wie der Kulturstaatsekretär weiß: „Clubs, Festivals und Musikkonzerte als Live-Begegnungsstätten (sind) ein wichtiger Gegenpol zur Online-Welt der Sozialen Medien. Es ist die Aufgabe einer demokratischen Landespolitik, jungen Menschen zu zeigen, dass auch sie mit ihren Themen und Kulturformen an- und wahrgenommen werden.“ Der Kulturstaatssekretär im ländlichen Raum unterwegs als Ethnologe, der nicht nur jugendliche Kulturformen registriert, sondern den Jugendlichen auch zeigt, dass er sie wahrnimmt. Er tut dies nicht nur aus Freude am Job, sondern er weiß auch um die ökonomische Dimension des Ganzen, wobei die kreative Seite des Subkulturellen etwas aus dem Blick gerät, wenn es heißt Festivals und Großkonzerte als „Tourismusverstärker“ fungieren. Irgendwie Kraut und Rüben, aber durchaus mit Tradition. Wer sich an die SWR-Sendung „Kretschmanns Musik“ erinnert, weiß eh, dass der Ministerpräsident einst ein kompromissloser Fan von Pop-Extravaganzen wie Dave Brubeck, The Beatles und der Riedlinger Band Powerplay gewesen ist. Nur allzu gerne hätte er sich mit dieser Vorliebe für seltsame Kulturformen angenommen und von einer demokratischen Landespolitik auch sichtbar gemacht gewusst. Dass das seinerzeit wohl nicht so gewesen ist, nennt man dann wohl die Ungnade der vorzeitigen Geburt. Egal. Wir sehen also, dass The Länd nicht nur super talentierte musizierende Jugendliche an Klavier, Flöte und Cello fördert, sondern auch noch in die Vision vom POPLÄND investiert. Dass Baden-Württemberg zudem natürlich auch noch als Jazz-LÄND mit einer tollen Club-Landschaft und großartigen Festivals und als Filmhochschul-, Ballett-, Opern- und Schauspiel-LÄND bestens dasteht, wollen wir an dieser Stelle nicht vergessen zu erwähnen. Aber: was passiert eigentlich, wenn in dieser blühenden LÄNDschaft, deren Blüte sich nicht jedem unmittelbar erschließen mag, plötzlich die Fördermittel knapp werden. Was passiert, wenn gespart werden muss? Wo wird dann gespart werden? Was passiert, wenn die Sparmaßnahmen dazu führen, dass gefragt nachdrücklich wird, wer eigentlich die vielfältigen Angebote nutzt und zu schätzen weiß? Was passiert, wenn Umfragen ergeben, dass das Kulturangebot einer Mehrheit weniger wichtig ist als beispielsweise die Infrastruktur? Was passiert, wenn Kulturförderung nicht länger legitim mit der Gießkanne verteilt wird? Wenn plötzlich die Quote Einzug im Paradies hält? Wenn ein volatiles Stadionrock-Konzert wichtiger erscheint als eine sperrige Avantgarde-Performance? Wenn Kunstvermittlung gegen Entertainment ausgespielt wird? Wenn das komplette und bestens eingespielte System des fortgesetzten gegenseitigen lokalpatriotischen Schulterklopfens auf den Prüfstand kommt? Wenn die Verteilungskämpfe auch im Kulturbetrieb durchschlagen? Insofern gilt: 2025 könnte ein Jahr werden, in dem es sinnvoll sein könnte, seine kulturellen Aktivitäten auch einmal strategisch zu hinterfragen und produktive Entscheidungen zu treffen. Damit nicht die Situation entsteht, dass unterschiedliche Akteure gegeneinander ausgespielt werden können. Die Nischenkultur wird es danken. Die Oper aber auch.
Eure
Manufaktur