Liebe Freund*innen der Manufaktur,
Als wir uns jüngst, dem Wetterbericht Gehorsam erweisend, das Album „Studio One Space-Age (Dub Special) auflegten, erinnerten uns einige der Bläsersätze an die Band, die einst als Dexys Midnight Runners angetreten waren, Punk erst durch Northern Soul und dann durch Celtic Soul etwas Stilbewusstsein einzupflegen. Und weil wir dann sogleich nostalgisch wurden, mussten wir den Song „Old“ anstimmen, in dem es heißt: „Old have memories to keep the cold away / What is that you say? / No sense to dwell / Old, are you ridiculed and turned away? / No attention paid? / I thought as much / Yes and the dumb patriots have their say / Only see their way / Nothing to sell …”. Über’s Altern und Älter-Werden wird ja gerade ohnehin viel nachgedacht. Nicht zuletzt, weil die Gesellschaft so unschön altert, weil die Pflegekrise eskaliert, weil die Alten immer älter werden und die Jungen in der Minderheit sind. Was dazu führt, dass die Alten sich selbst, aber auch die Jungen dazu zwingen können, fürderhin die größten Hits der 1960er, 1970er, 1980er und 1990er in Dauerrotation und auf Festivals nicht nur anzuhören, sondern auch noch gehörig abfeiern zu müssen. Gutes Stichwort: JazzOpen, wo blutjunge Journalist:innen von ihren Redaktionen dazu angehalten waren, dem trostlosen Treiben wolllüstige Elogen derart abzuringen, bis sich ein Höhepunkt an den nächsten reihte. Zum natürlich frenetisch gefeierten Finale dann der schöne Satz von Parov Stelar: Wär‘ Stuttgart eine Frau, ich würd‘ sie heiraten!“, kolportiert ausgerechnet von jenem kurz in den fragwürdigen Status eines StZ/StN-Musikkritikers beförderten Redaktions-Adabeis, der sonst mit routinierter Begeisterung über das queere Stuttgart schwadroniert. Altgediente feiern vorzüglich Jubiläen, weshalb sich die Gegenwart aktuell wie folgt liest: 40 Jahre „Bochum“, 50 Jahre Sting, 60 Jahre Lenny Kravitz, 30 Jahre „Ill Communication“, 30 Jahre „Hamburger Schule“, 30 Jahre „Jazz Open“, 50 Jahre „Glam-Rock“, 44 Jahre Beatles kaputt, 63 Jahre Mauerbau. Und dann ist ja auch noch Kafka-Jahr! 100 Jahre tot, der Mann. Also immerhin, anders als Rocko Schamoni & Co. Nicht mehr mit belegter Stimme vor die Kamera zu bekommen, um vom Krieg zu erzählen. Wobei wir jetzt zwischen Altern und Tod keine direkte Linie insinuieren wollen, indes schon zwischen Altern und Nostalgie. Nostalgie, verstanden als die Sehnsucht nach der Rückkehr in die Vergangenheit, ist eine Kombination aus freundlicher Erinnerung und schmerzlichem Vermissen. Wobei die Vergangenheit so aus Versatzstücken zusammen gesampelt wird, bis ihr das innewohnende Bizarre und Fremde entzogen ist. Die Vergangenheit des Nostalgikers ist eine wohlig-warme Kuschelzone. Also „Bochum“ ohne die vorherigen Album-Flops, Kravitz ohne Lennon-Epigonalität und Sting ohne Second-Order-Reggae. Altern ohne Nostalgie gibt es übrigens auch, wie der Taylor Swift-Festival Sommer 2024 gezeigt hat. Man war objektiv alt, wenn man gewahrte, all das auch nur im Ansatz nicht zu verstehen, dieses gewaltige Bohei der Swifties um Songs, weil man diese Songs, nein, nicht sogleich beim Hören schon wieder vergessen hatte, sondern sie gar nicht bewusst hören vermochte. Anders beispielsweise als diejenigen Beyoncés. Nicht besser machte die Sache, dass andernorts bespielhaft bewiesen wurde, dass jeder Swift-Song so gebaut ist wie ein durchschnittlicher Song von Avril Lavigne. Doch die hatte man, alt, ja auch schon überhört, geflissentlich. Allerdings sparte man sich explizit die Kritik an dieser Event-Kette, weil man ja nicht so recht wusste, wozu Taylor ihre Swifties noch anstiften würde. Womit wir beim Wort des Jahres wären: „Weird“. „Weird“ sehen nicht nur wir aus, auf alten Fotos. Nein! „Weird“ scheint auch die freundliche Waffe gegen den endlosen Sermon aus Quatsch und Lügen, den Donald Trump gemeinhin so absondert. Viel zu lange haben die US-Demokraten versucht, dieser aberwitzig-abstrusen Melange mit Faktenchecks und Diskurs beizukommen. Jetzt, wo Kamala Harris »Sleepy Joe« Biden als Präsidentschaftskandidatin ersetzt hat, staunt man, wie schwerfällig und uninspiriert die Trump-Kampagne auf die neue Herausforderung reagiert. Plötzlich wirkt Trump sehr alt, überfordert und agiert offen rassistisch, plötzlich wirkt sein Running Mate Vance pubertär, plötzlich sieht sich „The Donald“ einer Ex-Generalsstaatsanwältin gegenüber, die Typen wie ihn zu kennen vorgibt. Die Defensive scheint Trump nicht zu liegen. Wen wundert’s? Obwohl Kamala Harris bislang nicht für politische Inhalte steht, obwohl sie bei Amtsantritt damals eine Hoffnungsträgerin schien – und dann komplett abtauchte – ein wenig Aufbruchsstimmung tut dem US-Wahlkampf gut. Zumal dann noch der gut gealterte All American Boy Tim Walz an die Seite von Harris beordert wurde. Eine clever gewählte Ergänzung. Uns alten Nostalgikern ging jedenfalls das Herz auf, als jetzt bekannt wurde, dass Walz einst im Mai zu den Klängen der Replacements und von Hüsker Dü um die Häuser zog. Wenn dazu ein geschmackvoll-nostalgischer Jazz-Vinyl-Einkauf von Harris (Charles Mingus, Roy Ayers, Ella & Louis) viral geht, scheint die politische Positionierung von Taylor Swift vorerst verzichtbar. Mal sehen, wie lange diese Welle rollt. Apropos Nostalgie: The Wedding Present feiern das 35er-Jubiläum ihres Albums „Bizarro“, live in der Manufaktur. Auch C86er können nostalgisch, aber wer George Best auf dem Albumcover platziert, weiß eh: „When I think of all the good times that I’ve wasted having good times.” In diesem Sinne …
Eure
Manufaktur