Liebe Freund*innen der Manufaktur,
The Future’s so bright I gotta wear shades! Und damit ist jetzt, Anfang April, kurz vor Redaktionsschluss nicht etwa der erstaunlich früh gelegte Sommeranfang des Jahres 2024 gemeint. Sondern vielmehr das zunehmend unbehagliche Gefühl, morgens aufzustehen und beklommen zu gucken, wer sich in der Nacht zu was wie und mit welchen Konsequenzen positioniert hat und inwieweit dieser Entschluss nun wiederum geradezu zwanghaft dazu führen wird, dass man damit rechnen muss, dies binnen kurzer Zeit selbst in dieser Positionierung zu spiegeln und seinerseits zu positionieren – mit manchmal nicht absehbaren und kaum zu kontrollierenden Konsequenzen. „Sind Sie noch … oder waren Sie jemals?“ – das waren die Fragen des Komitees für unamerikanische Umtriebe zu Zeiten des McCarthyismus der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Heute könnte es heißen: Wie hältst du es mit Israel? Mit der Politik der israelischen Regierung? Mit dem Anti-Zionismus? Mit dem Antisemitismus? Vor dem Hintergrund des Hamas-Terrors vom 7. Oktober? Vor dem Hintergrund der Zeit vor dem 7. Oktober? Vor dem Hintergrund der Shoah? Vor dem Hintergrund, dass die Existenz Israels Teil der deutschen Staatsräson ist? Vor dem Hintergrund dessen, dass nicht so recht klar ist, was Staatsräson in diesem Zusammenhang konkret bedeutet? Vor dem Hintergrund, was aktuell in Gaza passiert? Ganz schön kompliziert, wenn dann etwa schon das Schweigen zu all dem von denen, die sich eindeutig positionieren, skandalisiert wird. Oder wenn eine linke, jüdische US-amerikanische Philosophin, die sich explizit regierungskritisch zu Israel äußert, von einer deutschen Universität ausgeladen wird unter dem Hinweis darauf, dass sie die Erklärung „Philosophy for Palestine“ unterzeichnet, die als problematisch bis antisemitisch gewertet werde. Dass die Philosophin an der New Yorker New School lehrt, wo einst aus Nazi-Deutschland vertriebene Intellektuelle aufgenommen wurden, um das kritische Denken zu pflegen und fortzuführen, das in Deutschland ausgelöscht werden sollte, ist dann nur noch die nächste dialektische Volte. Dann war da noch die Influencerin und Teilzeit-Moderatorin, die auf ihrem Instagram-Kanal eine App vorstellte, die es ihr erlaube, beim Einkauf Produkte zu identifizieren, die in irgendeinem Zusammenhang mit Israel stünden, damit sie diese Produkte boykottieren könne. Dass sie manchmal bei den Öffis arbeitete, war der FAZ eine Intervention wert. Und am Abend leistete dann der SWR Gehorsam, wozu dann wieder die FAZ beglückwünschte, wenngleich die Influencerin am nächsten Tag wieder gegen ihren Ex-Arbeitgeber „stichelte“ (FAZ). Da passte es dann ins Bild, dass der Song „Oktober in Europa“, den die Antilopengang veröffentlichte, gleich mitdiskutiert werden konnte. Hier fegte das antideutsche Trio mit Zeilen wie „Heute sind die größten Antisemiten / Alle Antirassisten, gegen Hass und für den Frieden“ so gepflegt vor der eigenen Tür, dass die „Junge Welt“ vor Missvergnügen quiekte und die „Bild“ ebenso jubelte wie Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Und Zeilen wie „Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas / Schutzschild der Nachfahr’n der Juden-Vergaser“ lösten in der Szene und bei der taz Debatten aus, die bestens zum VHS-Kurs „Lyrikanalyse für Fortgeschrittene“ getaugt hätte: Relativierung des Holocaust? Whataboutism für befriedigte Nazis? Kritik an Schuldabwehr bzw. -umleitung durch Formeln wie „Free Palestine from German Guilt“? Keine Antifa-Demo gegen Judenhass in Berlin. „Fun ist ein Stahlbad“ haben Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ geschrieben. Und damit gemeint: Lachen darüber, dass es nichts zu lachen gibt. Lachen zum Beispiel über in die Jahre gekommene Fun-Punker, die es dann eines Tages doch in den Vorlesungssaal einer ehrwürdigen Universität verschlägt – und zwar nicht als Hörer, sondern als Dozent. Und die Universität und die Medien machen dann gemeinsam daraus ein „Event“, ganz ohne Ironie. Oder die Konkurrenz des zuverlässig nervenden Lutschbonbons, die plötzlich die Freuden und Pflichten der Demokratie besingt und ganz prosaisch dazu aufruft, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. Das ist irgendwie schon ein uncooler Move vom Index zum GM-Lehrer, aber andererseits auch durchaus korrekt, weil man sich nicht drauf verlassen sollte, dass es Bernd Höcke & Co. am Ende vielleicht doch um mehr geht, als die korrekte Benennung von Mett-Brötchen (thür. „Gehacktes“) und das misslingende Erinnern von schwierigen Worten fremder Sprachen wie Aydan Özoğuz. Immerhin wissen wir jetzt, dass der Rattenfänger vom Vogtland mit Re-Migration wenig mehr meint, als die strategische Rückführung von in Thüringen ausgebildetem Fachpersonal ins liebenswerte Niedriglohnland von Bach, Schiller, Goethe und Buchenwald. Wie dem auch sei: Uns sind dafür die Worte in bester Erinnerung geblieben, die dem sich klammheimlich in die freie Wirtschaft verdrückt habenden Ex-Verkehrsminister Andreas »Maut« Scheuer nachgerufen wurden: „Die Lücke, die er hinterlässt, ersetzt ihn vollkommen.“ Weise Worte. Also: Geht’s am 9.6. um Himmelswillen wählen und denkt unmittelbar vor der Wahlkabine wahlweise an Andreas Scheuer, Bernd Höcke, ans „Hausverbot in Buchenwald“, an Mario Voigt und Die Ärzte. Sonnenbrille gefällig?
Eure Manufaktur