Zum Geleit

März 2024

Liebe Freund*innen der Manufaktur,

war es der Bohemien und Provo Werner Enke („Zur Sache, Schätzchen!“), der stets müde und missmutig abwinkte, wenn sich die Dinge seiner tiefenentspannten Meinung nach etwas »zu dynamisch« entwickelten? Waren es die Düsseldorfer Fehlfarben, die schon früh, 1980, ahnten: „Wenn die Wirklichkeit dich überholt, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol“? Im Februar-Geleitwort hatten wir etwas erhitzt und vielleicht auch eine Terz zu defätistisch um das Motiv des „Hoppla-Moments“ herum extemporiert, weil sich die Dinge etwas »zu dynamisch« (Enke) zu entwickeln schienen. Hatten folglich mit einem Peter Sloterdijk-Zitat in coolem Thomas Bernhard-Sound geunkt, dass eventuell die Demokratie, so wie sie hierzulande routiniert, aber kaum ernsthaft krisenerprobt, vielleicht etwas hilflos gegenüber aktuellen Herausforderungen agiert. Oder auch nicht agiert. Sondern? Beobachtet? Sinniert? Improvisiert? Womit wir, ehrlich gesagt, nicht rechneten, waren die zahllosen Demonstrationen gegen Rechts, die in den Tagen in, um und nach dem Redaktionsschluss landauf, landab plötzlich zum »dernier cri« des Winters 2023/24 wurden. War das tatsächlich eine Reaktion auf das sogenannte „Potsdamer Geheimtreffen“ rechter Kreise, die gemeinsam ihrem langgehegten Traum von der Deportation so weiter Teile der Bevölkerung nachhingen, auf das Deutschland endlich wieder wie Deutschland ausschauen möge und nicht so verwirrend bunt und widersprüchlich? Man rieb sich etwas verwundert die Augen ob dieses unerwarteten Hoppla-Effekts. Wo in der Woche zuvor noch der Aufmacher „Hilflos gegen Rechts“ zu lesen war, erschienen plötzlich Artikel dazu, „was die Rechten lesen“. Das erinnerte daran, dass die Dead Kennedys seinerzeit ihren Hippiebashing-Hit „California über alles“ aus dem Live-Programm nahmen mit dem Hinweis: „We‘ve got a bigger problem now!“ Herrje, ein Problem! Goldene Zeiten! Wo sich jetzt doch gerade alles »recht dynamisch« entwickelt. Passend dazu blättern wir gerade in der aktuellen Ausgabe des Pop-Periodikums „testcard“ zum Thema „Rechtspop“, dessen zahlreiche Beiträge auf unterschiedlichem Niveau klarmachen, dass auch in unserer kleinen Welt der avancierten Musik längst nicht mehr alles „alright“ ist. Und der bestens trainierte Blick auf trüben Rechtsrock vielleicht manches einfach übersehen oder zumindest nicht angemessen registriert hat. Passend zur Schärfung der Sinne lesen wir von einer Studie zur Generation Z der heute 18- bis 30jährigen, dass junge Frauen deutlich liberaler denken als ihre männlichen Altersgenossen, die sich selbst umfassend als Verlierer der Moderne entwerfen – und zwar in der Arbeitswelt und auch sexuell, privat. Das ist einerseits die frohe Botschaft zum 8.März, dem Internationalen Frauentag. Andererseits aber versammeln sich auf dem Grabbeltisch der für Liebesdinge als ungeeignet Befundenen die sogenannten „Incels“, als die unfreiwillig Zölibatären, die für eine destruktive Männlichkeit stehen, deren Spuren Richtung Utøya, Halle und Hanau weisen. Womit wir dann doch beim Politischer Aschermittwoch gelandet wären, der Schorndorf ins überregionale, ja, nationale Bewusstsein schleuderte, wenngleich zumeist mit dem hilfreichen Zusatz „östlich von Stuttgart gelegen“. Hierbei war nun interessant, dass die Polizei offenbar von der Mobilisierung des rabiaten Protests gegen den Auftritt von Ricarda Lang etwas überrascht schien, während professionelle Beobachter der Rechten und der Querdenker-Szene durch das Studium einschlägiger Telegram-Kanäle recht früh wussten, dass sich „da etwas“ zusammenbraut. Auch hier wieder diese seltsame Ungleichzeitigkeit. Selbstredend ist es wichtig, sich klarzumachen, warum es rechten Netzwerken scheinbar recht mühelos gelingt, Staatsorgane zu infiltrieren (Vgl. 21.3. Vortrag & Diskussion), aber vielleicht wäre es auch hilfreich, wenn die noch nicht unterwanderten Staatsorgane vielleicht soweit auf den Stand der technologischen Entwicklung gebracht werden könnten, dass sie in der Lage wären, in Echtzeit inkriminierte Social Media-Kanäle zu lesen, zu verstehen und daraus entsprechende Handlungsweisen abzuleiten. Haltungsweisen, inklusive.

Eure

Manufaktur

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