Zum Geleit

Dezember 2023

Liebe Freund*innen der Manufaktur,

Sprachlosigkeit kann ein Zeichen von Gleichgültigkeit sein. Sie kann auch von Feigheit zeugen – oder von Überforderung.

Wir im Manufaktur-Büro haben seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas-Mörderbanden auf israelische Soldat*innen, Kibbuz-Bewohner*innen, Raver*innen und Arbeiter*innen, keine Aufrufe und Sammelbriefe unterschrieben. Wir haben nichts veröffentlicht. Wir waren sprachlos. Vielleicht auch in Schockstarre.

Mit Gleichgültigkeit hat das nichts zu tun. Mit Feigheit vielleicht. Mit Überforderung auf jeden Fall. Mit einem Gefühl des Überwältigtseins durch die Niedertracht dieser islamistischen Bewegung, die vorgibt, für die Befreiung der Unterdrückten zu kämpfen, und die doch nur unterdrückt und brutalisiert. So läppisch es klingen mag: Wir fühlen uns Raver*innen intuitiv sofort verbunden. Wir sind immer Team Danceparty, niemals Team Gottesfurcht. Eskapismus ist legitim. Darauf, so hoffen wir, kann sich die Manufaktur-Community insgesamt einigen, welche Zugehörigkeiten man auch sonst so hat. Und wir sehen, dass gerade der eskapistische Hedonismus die Menschen zur Zielscheibe der Killer machte – wie schon 2015 in Paris im Bataclan, als die vermeintlichen Rächer der islamischen Welt sich Rockmusikgänger*innen und Leute in Cafés zum Ziel machten.

Das mag eine verquere Sympathiebekundung und Identifikation unsererseits vom Manufaktur-Büro aus sein, auf die niemand gewartet hat. Es gibt, das wissen wir, sehr viel gewichtigere Gründe für Solidarität mit Israel als die Existenz von Wüsten-Raves – aber so ist das eben mit intuitiven Reaktionen, wie wir sie hier beschreiben, um unserer Schockstarre auf den Grund zu gehen. Sie sind nicht rational. Sowieso weiß unseres Wissens niemand, was es bedeuten würde, im Angesicht solcher Brutalität und der Aufkündigung jeder Hoffnung rational zu sein.

Wir schämen uns jedenfalls für die Unfähigkeit zur Empathie, die Teile der politischen Linken derzeit prägt, sowohl hierzulande als auch international. Für ein Klima, in dem Jüd*innen auch im Remstal, in Stuttgart und anderswo hier in der Gegend sehr genau aufpassen, wo sie ihre Zugehörigkeit publik machen und wo nicht. Und in dem sie Angst haben müssen – vor den Judenhasser*innen jeglicher Couleur, derzeit vor allem vor jenen, die meinen, die palästinensische Sache zu verteidigen. „Die Öffentlichkeit gehört den Palästinensern“, sagt der deutsche Comedian Abdul Kader Chachin in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung über hiesige Städte, er könne Jüd*innen gut verstehen, die da vorsichtig seien.

Wir wissen auch, dass Palästinenser*innen jetzt entsetzliche Angst um die Ihren haben. Und dass diese Angst berechtigt ist. Tausende Zivilist*innen sind vom israelischen Militär getötet worden, und es geht weiter. Wir werden ihnen sicher nicht vorwerfen, dass unter ihnen zu wenige Raver*innen waren. Auch die gefühlte Nähe kann ein Problem sein und das Gleichheitsideal verraten. Wir glauben im Übrigen auch nicht – Habeck hin, Habeck her –, dass die Zugehörigkeit zur hiesigen Gesellschaft davon abhängig gemacht werden darf, wie man zu Israel steht. So funktioniert ein Rechtsstaat nicht – seltsam, daran von links erinnern zu müssen. Zugleich bleiben wir unversöhnlich gegenüber Islamist*innen hierzulande – ob mit oder ohne Migrationsgeschichte – und gegenüber denen, die die Jüd*innen aus Israel vertreiben wollen. Auch sie sind Deutschland. Aber das macht sie nicht besser, im Gegenteil.

Und wir ahnen: Anders als durch militärische Gewalt wird es Israel nicht gelingen, die Mörderbanden, die Raketen-Crews und ihre Chefs zur Rechenschaft zu ziehen. Anders als durch militärische Gewalt kann sich Israel nicht verteidigen – wie sollte das auch gehen? Dass uns das nicht zu vorbehaltlosen Unterstützer*innen der Militäraktionen, Blockaden und Bombardements macht, dürfte niemanden überraschen. Es macht uns auch nicht zu Fans der Besatzungspolitik, oder derart kaltblütig, dass wir – wie viele vermeintliche Israelfreund*innen in deutscher Regierungsverantwortung derzeit (von BILD-Autor*innen gar nicht erst zu reden) – denken würden, mit ein bisschen mehr Härte ließe sich schon für „Ordnung“ sorgen, das hätten die Araber*innen ja auch nicht anders verdient. In vielen linken Kommentaren war dagegen zu lesen, es sei die israelische Besatzungspolitik, die die Wurzel allen Übels sei, und ihre Entschärfung würde dann schon bald für Frieden sorgen. So ist es leider nicht – für zu viele Israel-Gegner*innen geht es gegen Israel als solches, gegen Jüd*innen im historischen Palästina. Genau das hat der Hamas-Terror einmal mehr gezeigt. Aber diese Einsicht entbindet auch niemanden von der Verpflichtung, der anderen Seite ihre Rechte zuzugestehen. Dem verweigert sich die israelische Regierung schon lange und sehr wirkmächtig. Sie zählt sich zur Internationale der autoritären Rechtsnationalist*innen und gibt nicht viel auf Sympathien von Leuten wie uns. Wovon das Existenzrecht des Staats und seiner Bewohner*innen aber offensichtlich nicht abhängen darf.

Und schon sind wir in der Spirale von Kontextualisierungen, Abwägungen und Rationalisierungen gelandet. Es war nicht anders zu erwarten – und auch die Unzufriedenheit mit diesen Mechanismen des Denkens und Schreibens kann sprachlos machen. Zu Gewissheiten kommen wir so nicht. Das ist vielleicht weniger problematisch als die Einsicht, dass wir uns auf diesem Weg auch immer weiter von der ersten Intuition entfernen: Dass es die Raver*innen waren, denen der Hass der Mörderbanden galt, und dass es seine guten Gründe hat, warum wir uns denen vor jedem weiteren Nachdenken besonders nahe fühlen.

Eure

Manufaktur

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