Zum Geleit

September 2022

Liebe Freundinnen und Freunde der Manufaktur,

Gerade hatten wir die vierte ausverkaufte Manufaktur-Veranstaltung in diesem Jahr hinter uns und schlugen etwas erschöpft die Zeitung auf – ohne größere Erwartungen, darin etwas über das kulturelle Geschehen in Schorndorf, Stuttgart oder der Region insgesamt zu erfahren, was über die üblichen Klischees hinausgeht. Kulturberichterstattung wie zum Beispiel Konzertbesprechungen sind in der Lokalpresse und im Universum der Stuttgarter Zeitung seit einiger Zeit ja kaum noch zu lesen, Kino kommt (im Gegensatz zu Streaming) kaum noch vor, Veranstaltungsankündigungen so gut wie gar nicht – was Kulturveranstalter ziemlich ärgert, weil auf diese Weise ja doch weiterhin sehr viele Leute über das kulturelle Geschehen und interessante Termine auf dem Laufenden gehalten werden, oder aber eben auch nicht. Die nach den Kahlschlagrunden des Medienkonzern-Managements verbliebenen Angestellten sollen auf solche Standards des Journalismus anscheinend keine Ressourcen mehr verwenden, vermutlich auf Geheiß ihrer Vorgesetzten (und stattdessen neue Rubriken wie „Herz & Schmerz“, „Haus & Hof“ oder „Maniküre & Pediküre“ bedienen, oder wie auch immer). Wir würden übrigens vermuten, dass Führungsetage und Eigentümer der Medienholding sich Privilegien leisten können, die denen einer wegen Luxus-Spesen geschassten ARD-Chefin problemlos das Wasser reichen können. Dass es dafür reicht, ist ja auch wichtiger als schnöde Provinz- und Kulturberichterstattung…

Mit niedrigen Erwartungen schlagen wir also das Blättle auf und sind erstaunt, einen recht prominent platzierten Bericht und einen Kommentar zur Krise der Kulturveranstalter in der Region zu lesen, einschließlich der kleineren, die Tim Schleider von der Stuttgarter Zeitung verfasst hat. Unser Erstaunen rührt nicht unbedingt von den Inhalten der Texte selbst her: Auch wenn der Bericht z.B. unsere Situation nicht rundum trifft und ziemlich einseitig ausfällt – falsch ist die Darstellung nicht, Schwierigkeiten gibt es viele, steigende Kosten, bleibende Ungewissheit. Auch wenn viele Veranstaltungen in der Manufaktur zuletzt ausgesprochen gut besucht waren, steht auch für uns die Frage im Raum, in welche Richtung das Publikumsinteresse gehen wird. Allerdings haben diese Untergangserzählungen inzwischen auch eine gewisse Eigendynamik angenommen – wie viele andere Kulturveranstalter arbeiten wir viel daran, die Herausforderungen zu meistern, und das mit großem Engagement der ganzen Manufaktur-Community und vielen Erfolgen.

Aber, wie dem auch sei: In einem Blatt, das auf Kulturberichterstattung ganz dezidiert keinen Bock mehr hat und das Schreiben solcher Texte praktisch eingestellt hat, von der Krise der Kulturveranstaltungen zu lesen, ohne dass dazwischen irgendeine Verbindung gezogen würde, ist schon ein wenig irre. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion hat der liebe Gott halt sehr ungleich verteilt – was vermutlich weniger eine Frage von Persönlichkeiten ist als von institutionell bedingten Blindheiten. „Don’t shit where you eat“, sagt man in den USA. Deshalb möchten wir es direkt ansprechen: Wie wäre es mal, liebe Zeitungsredaktionen, mit einem ausführlichen Bericht über die Entwicklung der Kulturberichterstattung in der Region, über die personelle Entwicklung, über die quantitative und qualitative Gewichtung von Kulturthemen – und mit einer gründlichen Recherche zur Frage, was die zunehmend anti-kulturelle, nicht-lokale und anti-intellektuelle Ausrichtung des Journalismus ihrerseits regional und überregional zur Krise des Kultursektors beiträgt? Nein? Keine Lust? Keine Kapazitäten? Ich fürchte, das erstaunt und enttäuscht kaum jemanden. Man erwartet einfach nichts mehr.

So, genug geärgert, man will sich vom Zynismus der anderen ja auch nicht noch selbst allzu zynisch machen lassen. Wir freuen uns wahnsinnig auf das September-Programm, das wir euch auf den nächsten Seiten vorstellen – und hoffen natürlich auf eine Verbesserung der Weltlage in jeder Hinsicht, nicht nur mit Blick auf die Aussichten unserer Klitsche…

Einen tollen September trotz alledem wünscht

Eure

Manufaktur

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