Liebe Freundinnen und Freunde der Manufaktur,
Deutschland 2050 – was haben wir zu erwarten? Die Autoren Nick Reimer und Toralf Staudt haben über diese Frage ein vielgelobtes Buch geschrieben. Angesichts des Untertitels („Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“) könnt ihr euch denken, wohin die Reise geht: Sie präsentieren schmerzhafte und wissenschaftliche hinterlegte Wahrheiten über das Modell „plus (mindestens) zwei Grad“. Darauf steuern wir zu – dank der real existierenden Realpolitik und den Verteidiger:innen der imperialen Lebensweise, die vor allem die „besseren“ Schichten der reichen Länder genießen. Die beiden Autoren konkretisieren, was das eigentlich bedeuten wird. Reimer stellt das Buch am 13. Juli in der Manufaktur vor. Mitveranstalter des Abends sind die Naturfreunde Schorndorf und der Klimaentscheid Schorndorf: Die Initiative fordert bekanntermaßen ein lokales Klimaschutzprogramm, das Schorndorf bis 2035 klimaneutral macht, damit die Stadt ihren Beitrag dazu leistet, solche Szenarien zumindest abzumildern. Also: Es wird bei der Veranstaltung über Szenarien zu reden sein, wie Deutschland in knapp 30 Jahren klimatisch – und damit auch wirtschaftlich, politisch, kulturell – aussehen wird. Aber es geht auch um eine Diskussion darüber, was wir dagegen tun können, nicht nur als Konsument:innen, sondern auch als politische Wesen.
Momentan spricht – von der völlig angebrachten Radikalisierung vieler jüngerer Leute abgesehen – nicht allzu viel dafür, dass Bewegungen für Klimaschutz und gegen den Vorrang der Kapitalakkumulation den Kräften der Beharrung genug entgegensetzen könnten. Die offenbare Unfähigkeit von Politik, Medien und Alltagsbewusstsein, mehrere Themen gleichzeitig (zuerst war Klima! Dann Corona! Dann Krieg!) zu verarbeiten, scheint die Lage weiter zu verschlimmern. Von der reaktionären Wende antiautoritärer Impulse unter vermeintlich normalen Leuten ganz abgesehen, die uns unvermindert auf den Zeiger geht: „Tempolimit? Das wäre doch eine Klimadiktatur! Ich lasse mir gar nichts sagen! Wahre Expertise gibt es nur noch auf Telegram, bei meinem Bachblüten-Dealer, Putin und der FDP! Alle anderen sind doch längst vom System gekauft!“
Aber hey, Optimismus des Willens! Von „Deutschland 2050“ zu reden, bringt aber auch andere Assoziationsketten in Gang. Hätten wir uns bis dahin nicht eh schon längst abgeschafft haben sollen? Ein solches Szenario hatte ja vor einigen Jahren ein rechter Sozi aus Berlin in den Raum gestellt, der davor ein wild drauflos privatisierender und alles kaputtsparender Finanzsenator gewesen war. Er machte damit Millionen, denn so was wollte der deutsche Buchkäufer offensichtlich lesen. Vielleicht auch eine Hoffnung, denn wer – ok, von Millionen Buchkäufer:innen abgesehen – will ernsthaft in einem Sarrazin-Deutschland leben? In den 1990er-Jahren wiederum, also nochmal etwas früher, hatte es auch mal eine antirassistische Tour linker Bands gegeben, deren Motto „Deutschland halt’s Maul“ gelautet hatte. Eine nachvollziehbare, aber wenig erfolgsversprechende Forderung, ein unrealistisches Szenario, wenn man so will. Etwas später vernahmen wir dann den Deutschrap-geprägten Spott „Deutschland, du Opfer!“ Was uns jetzt verleitet, das alles irgendwie zusammenbauen und neue Slogans und Szenarien basteln zu wollen, um uns von dem ganzen Wahnsinn abzulenken. Was wir an dieser Stelle aber lieber eurer Kreativität und eurem Taktgefühl überlassen. Einen schönen Juli allerseits!
Eure
Manufaktur