Liebe Freundinnen und Freunde der Manufaktur,
wie ihr euch denken könnt, müssen wir für den November alle geplanten Veranstaltungen absagen – Konzerte, Lesungen, Filmvorführungen. Die Manufaktur macht erstmal dicht. Wir kamen gerade vom Programmheft-Verteilen zurück, als die neuen Regeln erlassen wurden. Da waren wir zu (zweck-)optimistisch, wie so viele.
Zu den vielen Unterschieden zwischen Friedrich Merz und uns gehört, dass wir uns nicht durchgängig für das Zentrum der Welt halten. Nein, das ist jetzt keine Verschwörung des Establishments gegen unsereins, um kritisches Denken und nice Musik zu unterbinden. (Wäre schön, wenn wir so wichtig wären). Frustrierend ist die Lage allerdings – wir können guten Gewissens sagen, dass unser Abstands- und Hygienekonzept funktioniert hat und dass es weiterhin funktioniert. Es gibt überhaupt keine Hinweise darauf, dass sich hier irgendwer angesteckt hätte. Unserer Beobachtung nach sind die Manufaktur-Besucher*innen auch sehr vorsichtig, was die Kontakte draußen, am Eingang, auf dem Nachhauseweg und so weiter angeht. Die Manufaktur ist in dieser Hinsicht ein Beispiel für die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Gewissermaßen die utopische Schnittmenge von FDP und autonomer Bewegung.
Also – keine Verschwörung, aber kommt mit diesen Regeln nicht doch eine gewaltige staatliche Ignoranz gegenüber der Kultur zum Ausdruck, die nur mehr als verzichtbare Unterhaltung und als Ort vermeidbarer „Kontakte“ im epidemiologischen Sinn erscheint? Wie dem auch sei: Wir gehören nicht zu denjenigen, die jetzt die „Systemrelevanz“ kultureller Veranstaltungen betonen. Was auch immer „das System“ sein mag, tendenziell ist es uns z.B. sehr recht, für die Kapitalakkumulation (den Hauptzweck unseres wirtschaftlichen „Systems“) eher unfunktional zu sein. Wenn es um „das System“ geht, halten wir es im Zweifelsfall weiterhin mit dem 90er-Jahre-Klassiker von Die Sterne. Und wir sehen auch nicht auf die „bloße Unterhaltung“ herab.
Drei Botschaften sind uns an dieser Stelle dennoch extrem wichtig:
Erstens gilt es in der derzeitigen Lage politisch nicht nur „die Unternehmen und Vereine“ aufzufangen, sondern auch die unabhängigen Künstler*innen und diejenigen, die ihre Arbeit möglich machen. Sie sind ja gerade deshalb so wichtig für uns und viele andere Leute, weil sie nicht systemrelevant sein müssen. Wenn das (wieder) nicht gelingen sollte, wäre das unerträglich und ein gewaltiger Bruch.
Zweitens muss in den nächsten Phasen dieses Grauens, und sei’s bei neuen Beschränkungen in allerlei Bereichen, auch wieder Platz für „die Kultur“ sein, sofern wir die Risikominimierung verantwortlich hinbekommen, wie wir das ja auch tun. Sektoral mehr (Abstands-)Tanz, weniger Hammer. Für „die Wirtschaft“ geht das ja auch, anscheinend.
Und drittens: Für die Internetkonzerne, die das kulturelle Leben derzeit weiter monopolisieren und unter sich aufteilen, brauchen wir (a) Sabotagewerkzeuge und (b) eine rätedemokratische Vergesellschaftung. Oder etwas in der Art. Dann alle die Abos kündigen und statt N*tf*x – Manufaktur und chilln.
Eure
Manufaktur