Liebe Freund*innen der Manufaktur,
„keine Enteignung ist auch keine Lösung!“ Das wäre der Titel der Veranstaltung mit Sabine Nuss gewesen, die kürzlich in der Manufaktur hätte stattfinden sollen. Thema: die Berliner Mieterbewegung und ihre Forderungen. Warum die Veranstaltung nicht stattfand, könnt ihr euch vermutlich denken. Nachholen wollen wir sie, klar.
Während aus den bürgerlichen Medien derzeit die Panik angesichts der sich ausbreitenden Verschwörungsidiotie quillt, die „den Medien“, „der Wissenschaft“ und „denen da oben“ in der Politik nicht mehr traut, und deshalb offenbar den Tod von Zehntausenden in Kauf nimmt, um recht zu behalten, während also der Wahnsinn grassiert und die Stimmen des offiziellen Deutschland an die Verteidigung des Status Quo appellieren, wollen wir uns weder den Aluhüten, Eso-Spinnern, Wichtigtu-Welterklärern, Krypto-Antisemiten, den vernebelt-nassforschen Pseudo-Realisten („wären ja eh in sechs Monaten tot, die alten und kranken Leute, also drauf geschissen!“), den enthemmten Kleinunternehmer-Liberalen („wenn ich nicht sofort meine Friseurladenkette wieder aufmachen darf, geh ich zur AfD!“) oder den Querfront-Vordenkern auf ihrem imaginären Feldherrenhügel („Ich bringe links und rechts zusammen, gegen die da oben!“) anschließen, noch wollen wir in das Loblied der vorbildlichen Bundesrepublik, der gesunden Marktwirtschaft, der freundlichen Pharmaindustrie oder der unbestechlich-vernünftig-alternativlosen Politik einstimmen. Auf keinen Fall dürfen das die einzigen Alternativen sein.
Ja, man kann Leute wie Bill Gates für verlogene und zu mächtige Typen halten, ohne deshalb wie ein kleiner Verschwörungslemming zu meinen, dass er die Welt beherrscht und uns alle „chippen“ will (und man kann darauf beharren, dass das Wort „Chippen“ besser im Fußballbereich bleiben sollte, als anglisierte Variante dessen, was man beim Kicken eigentlich viel schöner „lupfen“ nennt. Aber das nur am Rande). Es macht Sinn, die ideologischen Scheuklappen von Mainstream-Journalist*innen zu kritisieren und das Profitstreben der Verlage, für die sie arbeiten, was aber nicht heißt, dass man stattdessen die Äußerungen der Propagandaabteilung des russischen Außenministeriums oder von klickgeilen Youtube-Möchtegernpersönlichkeiten für bare Münze nimmt und ignoriert, dass viele Journalist*innen – oft auch gegen ihre Chefs und Verleger*innen – wichtige Arbeit machen. Man kann auch auf Youtube schlaue Sachen finden, ohne jegliche Kriterien kritischen Denkens zu verlieren. (Und es ist auch möglich, es gut und richtig und unausweichlich zu finden, dass nicht nur die sogenannten „Expert*innen“ sich einen Reim auf die Welt machen, sondern auch Leute „wie wir“, ohne deshalb jeden Quark zu akzeptieren; so was lässt man gerade auch Freund*innen ja normalerweise auch nicht durchgehen). Ja, man kann sich gegen die Ausweitung staatlicher Repressionskompetenzen und -techniken wenden, ohne deshalb zu meinen, in einer Pandemie sollte einfach alles so weiter laufen wie bisher. Man kann die Pharmaindustrie vergesellschaften wollen, ohne deshalb zu meinen, Impfen sei des Teufels und Covid-19 „auch nicht schlimmer als ne Grippe“. Man kann Aussagen von Wissenschaftler*innen hinterfragen und prüfen, welche von ihnen durch welche Nebenverdienste und ideologischen Vorannahmen möglicherweise wie beeinflusst sind, ohne deshalb zu meinen, alle Wissenschaftler*innen seien korrupt und ahnungslos und ihre Erkenntnisse ohne Bedeutung und eh alle gleich plausibel oder unplausibel (sind sie nicht, duh). Man kann die große Koalition der Merkelscholzmerzsöderhabecks unangenehm finden und bemerken, dass sich im Regierungsfall der Einzelkomponente erfahrungsgemäß nicht sonderlich viel ändert, ohne deshalb nach dem starken Mann und dem unmittelbaren Ausdruck des „Volkswillens“ zu rufen, was auch immer letzterer sein soll. Man kann „Eliten“, Herrschende, Milliardäre für einen großen Teil des Problems halten (und nicht für die Lösung!) und auch die eigenen Ressentiments gegen die da oben kultivieren (nicht schlecht für die Psychohygiene), ohne zu meinen, das sei dann eine ausreichende Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Und vor allem kann man ein solidarisches Teilen der aktuellen und kommenden finanziellen Kosten (drohende Insolvenzen, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und so weiter) und auch einen kollektiven Umgang mit den sozialen, geschlechterpolitischen und psychischen Bestandteilen und Folgen dieser Krise fordern und organisieren. Auf der Grundlage, dass man anerkennt, dass die Existenzsorgen – finanziell, gesundheitlich – real sind, aber in besseren Verhältnissen besser lösbar, dass es die Arbeit der „ganz normalen“ Menschen – nicht zuletzt auch die unbezahlte Reproduktionsarbeit – ist, die uns am Leben hält und hinter der „Wertschöpfung“ steckt (und die gerechter verteilt gehört), dass ein Gesundheitssystem nicht für Profit da sein sollte, dass Kulturproduktion nicht an Konzerne delegiert gehört, dass das Werkvertragssystem eine besonders schlimme Form von Ausbeutung ist, dass Solidarität nicht an Staatengrenzen enden darf, dass die Umweltzerstörung eine entscheidende Wurzel solcher Pandemien ist und harte Gegenmaßnahmen benötigt. All das bemerken, tun und fordern seit langem, nun ja, Linke.
Also: Jetzt, da sich so ziemlich alle kritischen Analysen und Positionen der mehr oder weniger radikalen politischen Linken, der Feminist*innen, der Gewerkschafter*innen, der Umweltschützer*innen, der Antirassist*innen, der Kapitalismuskritiker*innen und so weiter bestätigen, gilt es das Feld nicht den falschen Alternativen zu überlassen. Wenn sich die Debatte im Balla-Balla-Zynismus der Volkszorn-Organisator*innen oder im Pseudorealismus der Aber-Merkel-ist-doch-letztlich-ganz-vernünftig-könnte-auch-schlimmer-kommen-wählen-wir-halt-Schwarzgrün-Alternativlosigkeitsprophet*innen verliert, dann gute Nacht.
Keine linke Alternative ist auch keine Lösung.
Eure
Manufaktur